Viktor Bucher

Rock ´n´ Roll ?

12 Jun - 13 Jul 2013

© Andreas Leikauf
"Rock ́n ́ Roll", 2013
Acryl/Lwd
50 x 70 cm
ROCK ́N ́ ROLL ?
Nicola Di Caprio Jad Fair Stephen Mathewson Andreas Leikauf Bartolomeo Migliore
12.06 - 13.07.2013

Kuratiert von Andreas Leikauf

Die Geschichte ist schon oft erzählt worden, aber sie scheint nicht alt zu werden. Sie handelt
von Rock 'n' Roll, Kunst und Leben. Von Entgrenzung, Transgression und Verschmelzung. Rock 'n' Roll – ein Begriff, der schon unzählige Zuschreibungen erfahren hat. Man nutzt ihn, um einen Musikstil, eine rebellische Attitüde oder einen Lebensentwurf, manchmal schlichtweg nur ungestüme Leidenschaft zu benennen. Die Vorstellungen, die Rock 'n' Roll in den Köpfen hervorruft, sind so vielfältig, wie die tatsächlichen pophistorischen und semiotischen Rinnsale und Verästelungen. Wird das Wort „Rock ́n ́Roll“ ausgesprochen, dann hat jeder seine eigene Vorstellung dazu.
„Rock 'n' Roll?“ titelt die von Andreas Leikauf kuratierte Ausstellung. Wohlgemerkt mit Fragezeichen, das ist schlau! - ist der Begriff doch nicht selten strapaziert worden, da ist Vorsicht geboten! Denn diese Geschichte hat Geschichte, auf dem Umschlagplatz von Pop und bildender Kunst herrschte stets reges Treiben. Die Mutter aller Allianzen und Messalliancen war wohl Andy Warhol im Verbund mit Velvet Underground; demgemäss fanden etwa Genesis P-Orridge und Throbbing Gristle später eine radikalere Sprache, gleichermassen die No-Wave-Bewegung Ende der Siebziger Jahre. Aber auch Raymond Pettibon befindet sich ikonenhaft mittendrin, selbst Gerhard Richter war am Rande zu sehen. Ein Kanon steht jedenfalls: Albert Oehlen, Martin Kippenberger, Mike Kelley, Red Krayola, Daniel Johnston, Kim Gordon....
Im projektraum viktor bucher wird also dieser Tage an eine gute, alte Tradition angeknüpft.
Nicola Di Caprio, Jad Fair, Andreas Leikauf, Stephen Mathewson und Bartolomeo Migliore – fünf Künstler, fünf Feldüberschreitungen in popbildnerischer Manier:

Die Arbeiten, die der in Milan und Paris lebende Italiener Nicola Di Caprio (*1963) zeigt, sind durchwirkt von den Codes und Images der Populärkultur. Sie überhöhen und transzendieren dieMythen des Pop, um sie gleichsam auf den Boden der Realität zu holen. Ob es nun die zum Teufelszeichen in die Höhe gereckte Hand ist – diese beliebte Geste von Konzertbesuchern –, die in „I luv R 'n' R“ ihre Umsetzung als Skulptur findet. Ein lautloses Zeichen, dennoch aufgeladen mit brüllender Symbolkraft. Oder seine Bilderserie „Living in a glass house“, wo er die Gesichter tragisch verstorbener Rockstars wie Jimi Hendrix, Sid Vicious oder Tim Buckley collagiert und auf die Fragilität des Konstrukts „Sex, Drugs and Rock 'n' Roll“ verweist. Als Schlagzeuger und Perkussionist betreibt Di Caprio auch das im Grenzbereich von Rock, Jazz und Elektronik angesiedelte Projekt Superteste (key witness) – die Performance „Il Bambino Cosmico“ ist an diesem Abend als Experiment mit offenem Ausgang angelegt.

Jad Fair (*1954), US-amerikanischer Künstler mit berüchtigter Vergangenheit, Rock- Dekonstruktivist und Low-Fi-Apologet, hat zu malen begonnen, als er drei Jahre alt war. Mit seiner als legendär zu bezeichnenden Band Half Japanes,e (Kurt Cobain gehörte zum Fankreis), hat er seit den Siebzigern unzählige Alben veröffentlicht. Sein künstlerischer Gestus und nicht zuletzt auch sein persönliches Verhältnis zu Daniel Johnston rücken ihn in die Nähe der Outsider Art. Fair zeigt seine Scherenschnitt-Serie „Monsters“. Man könnte nun polemisch fragen, was denn wohl weniger Rock 'n' Roll sei, als Scherenschnitte? Nur sollte man zuvor Fairs Beweggründe für die Schnitte erfahren: Als Reisender stets auf holprigen Strassen unterwegs, war ihm das Zeichnen auf langen Fahrten unmöglich. Die Scherenschnitte gingen ihm da schon leichter von der Hand. „Die passieren einfach“, hat er in einem Interview einmal gesagt. Und dass er dafür nicht groß auf Inspiration warten muss. Und das ist dann doch wieder ziemlich Rock 'n' Roll.

Auch Andreas Leikauf (*1966) ist nicht nur bildender Künstler, sondern auch bei der Garage-Rockband Mopedrock!! als Violinist und Gitarrist tätig. Die Grundlage seiner Arbeiten findet er in Fotografien, wie man sie jeden Tag in Zeitungen und Magazinen sehen kann. Erst durch die Slogans und Aphorismen, mit denen Leikauf die als Acrylmalerei umgesetzten Motive versieht, entkommen sie ihrer Trivialität und beginnen – auch im gesellschaftskritischen Sinne – ein zweites Leben. Um sein Spiel mit Zitaten und popkulturellen Querbezügen historisch korrekt einzuordnen, bedarf es mitunter einer gewissen Kennerschaft. Darüber hinaus aber sind seine Sujets archetypischer Natur, funktionieren auch ohne einschlägige Vorkenntnisse. So stehen etwa in „Vicious Ways“ Bass und Schlagzeug als Pars pro toto für das Konzept Rockband, das einst vielleicht als wild und lasterhaft galt – heute tut sich da nichts weniger als der doppelte Boden der Ironie auf. Und der Popinteressierte wird an Sid Vicious, den Bassisten der Punk-Urväter Sex Pistols denken müssen – er starb 1979 an einer Überdosis Heroin.

Der in Wien und Hallein lebende Künstler und Musiker Stephen Mathewson (*1962) gab dieses Jahr mit seiner Band The Brainmanagerz den Support-Act für die US-amerikanischen Indie-Rock-Legenden Dinosaur Jr. – das darf als Auszeichnung gelten. Seine Arbeit ist ein Ineinandergreifen von Malerei und Comic, Grafik- und Textarbeit; dafür zapft Mathewson zahlreiche populärkulturelle Quellen an. Es sind im Sinne einer teils autobiographischen Narration angeordnete Fragmente, die er gerne satirisch unterläuft. Seit vielen Jahren bildet eine Fortsetzungsgeschichte, die immer wieder in seine Ausstellungsprojekte Eingang findet, einen fixen Bestandteil seiner Arbeit. Eine männliche Hauptfigur mit autobiographischen Bezügen erlebt da, wie einmal zu lesen war, die „wildesten Abenteuer“. Die Grenzen zwischen Zeichnung, Malerei und Comic, zwischen Textkunst und Trivialprosa, wie auch jene zwischen Fiktion und Realität mag Mathewson nicht ganz akzeptieren – auch das ist Rock 'n' Roll.

Bartolomeo Migliore (* 1960) lebt und arbeitet in Turin. In den kunsttheoretischen Ausführungen zu seiner Arbeit stößt man immer wieder auf jene, die den mehr oder weniger zentralen Topos von Migliore umkreisen: Es ist das Vokabular des Pop, der Strassenkunst, der alltäglichen Phrasen und Schlagwörter, das er nach den grammatikalischen Regeln der bildenden Kunst neu formuliert. Er verfremdet und abstrahiert Versatzstücke und mitunter auch Allgemeinplätze der Popkultur, Plattitüden des Everyday Life oder auch Song-Zitate oft derart, bis sich die Ursprungsbedeutung dieser – wenn man so möchte – phraseologischen Objets trouvés geradezu verflüchtigt, sie zu Ideogrammen werden, in denen der einst von ihnen ausgehende Sound nur mehr leise nachhallt. Doch gerade dieser Nachhall dient Migliore als Beschwörungs- formel, mit der er dem Ausgangsmaterial einen neuen Zauber entlockt

Tiz Schaffer
 

Tags: Kim Gordon, Mike Kelley, Martin Kippenberger, Andreas Leikauf, Albert Oehlen, Genesis P-Orridge, Raymond Pettibon, Gerhard Richter, Andy Warhol