Painting Berlin
30 Aug - 22 Sep 2005
Painting Berlin
Martin Frerichs, Franziska Hufnagel, Kim Nekarda, Eva Seufert, David Tidball
30. August – 22. September 2005
Berlin und die Kunst – das ist eine Hassliebe, die seit dem 19. Jahrhundert die Stadt bestimmt. Eine Geschichte von Aktion und Reaktion.
Der Wandel Berlins von einer preussisch nüchternen Hauptstadt zur amerikanisch geprägten Metropolis, deren Lichter hell die Moderne ausstrahlten, war eine Bewegung, die von unten angestoßen wurde, deren Impuls aber nicht bis nach oben reichte. Statt nach vorne schaute die politische und gesellschaftliche Spitze lieber in die Vergangenheit. Die Hohenzollern liebten den Historismus, eine offiziöse und patriotische Malerei. Die vom Kaiser bewusst gegen die Moderne gerichteten Erziehungsversuche bewirkten das Gegenteil. In einem weltoffenen Berliner Großbürgertum fand das avantgardistische Milieu geistigen Rückhalt. Die um 1900 einsetzende Sezessionsbewegung brachte gleichsam Maler wie Max Liebermann und Händler wie Paul Cassirer hervor, die jeweils mit den ihn eigenen Möglichkeiten für das Neue in der Stadt eintraten. Karl Scheffler, als Herausgeber der Kunstzeitschrift „Kunst und Künstler“ einer der scharfsinnigsten Verfechter der zeitgenössischen Kunst, schrieb 1910, dass Berlin dazu verurteilt sei, „immerfort zu werden, aber niemals zu sein.“ Die Beschreibung der Stadt wurde zur Beschreibung der Parameter einer modernen Kunst und hat in ihrer Aktualität an nichts eingebüßt. Die geistige und materielle Allianz von Großbürgertum und Künstler, das mäzenatische Eintreten für das Unbequeme, Anarchische und Revolutionäre vermochte es, die urbane Sprache der Straße zunächst in die Salons und schließlich die Museen zu bringen. Großzügige Schenkungen unterliefen die kaiserliche Museumspolitik und zogen ein Publikum heran, dass als das kritischste und anspruchsvollste in Europa galt. Ehrgeizige Sammlungen zeitgenössischer Kunst entstanden. Mit Ludwig Justi erhielt die Moderne 1919 ihr erstes eigenständiges Museum der Welt. Von solch einem kompromisslosen Eintreten für die Kunst ist die Stadt heute weit entfernt. Der radikale Kehraus des Zeitgenössischen begann mit den Nationalsozialisten 1933. Den Degen der Avantgarde schwang seit 1930 im Museum of Modern Art in New York, dessen Ruhm Berlin nun mühsam zu reimportieren versucht.
Im geteilten Berlin wurde die Insel im Westen zur selbstgewählten Aussteigerkolonie. Im Hinterhof der Bundesrepublik wurden Punk und Glamour zur Kunst der Straße und Galerien, während die Museen manche Träne der Erinnerung vergossen. Mit Ankäufen versuchte man lieber die Lücken der Nazizeit zu schließen als das fortzuführen, was hoffnungsvoll begann: Das mutige Eintreten fürs Zeitgenössische. In den 90er Jahren übernahmen die Galerien diese Aufgabe. Ihnen gebührt der Dank dafür, dass die LA Times vor kurzem schrieb: „Berlin has metamorphosed into the liveliest contemporary art and gallery scene in Europe“.
In der Ausstellung „Painting Berlin“ werden exemplarisch fünf Positionen für das malerische Schaffen in Berlin vorgestellt.
Marten Frerichs (geb. 1967) bezieht seine Inhalte aus der Popkultur. In der Ausstellung wird ein Bild zu sehen sein, das ein Foto eines vermüllten Wohnzimmers in einem besetzten Haus der englischen Band Scritti Politti zum Vorbild hat. Das Lackbild hängt auf einem Wandbild, das ein Plattencover der 80er Jahre Erfolgsband Human League variiert.
Franziska Hufnagel (geb. 1967) schafft malerische dichte Tableaus, deren Themen weniger Direktes zum Vorbild haben, sondern sich aus sich selbst schöpfen. Auf der Leinwand trifft Bekanntes auf Phantastisches.
Kim Nekardas (geb. 1973) Bilder wirken wie Filmstills, sind dabei menschenleer, ohne jedoch ihre narrative Struktur aufzugeben. Rückgriffen auf japanische Comictraditionen und den ihnen eigene Bild- und Raumgestaltung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Die radikal reduzierten, mit Lack gesprühten Bildern von Eva Seufert (geb. 1966) bauen auf wenige gestische oder geometrische Elemente auf. Die konkreten Inhalte verweisen zunächst auf nichts anderes als sich selbst, lassen dann doch aber doch Raum für weitere Überlegungen.
David Tidball (geb. 1958) hat die letzten 20 Jahre luxuriös damit verbracht, Eisenbahnen anzuschauen und Fahrpläne zu studieren. Ein Weltenbummler zwischen London, Kairo und Berlin, der die alten Themen der Welt sein Eigen macht. Mehr ist nicht zu sagen, in den Worten von Sir Conan Doyle: „The Game is afoot“ und wie Mary Poppins pflegte zu sagen: „No Explanation required“.
Berlin and art – that is a hate-love relationship which has shaped the city since the nineteenth century. A history of action and reaction.
Berlin’s transformation from the sober Prussian capital to an American-influenced metropolis whose lights brightly illuminated modernism was a movement which was initiated from the bottom but didn’t reach the top. Instead of looking ahead, the political and social elites preferred to look to the past. The Hohenzollerns, the Prussian royal family, adored historicism, an academic, official and patriotic style of painting. The Kaiser’s pedagogic attempts against modernism backfired. The milieu of the avant-garde found intellectual backing in Berlin’s cosmopolitan bourgeoisie. The secession movement, which started around 1900, produced painters like Max Liebermann and art dealers like Paul Cassirer, who advocated as much as they could what was new in the city. Karl Schaffler, the editor of the art magazine Kunst und Künstler, one of the most astute advocates of contemporary art, wrote in 1910 that Berlin was condemned ‘to always become, but never be.’ This description of the city became a description of the parameters of modern art, and it still applies today as much as it did then. The intellectual and material alliance between the bourgeoisie and artists, the patronage of what was uncomfortable, of the anarchic and revolutionary, managed to introduce the urban language of the street first into the salons, and finally to the museums. Generous gifts undermined the emperor’s museum policies and educated an audience which had the reputation of being the most critical and demanding in Europe. Ambitious collections of contemporary art started to grow. In 1919, Berlin became the first city in the world with a museum for modernism, under the leadership of Ludwig Justi. Today, Berlin is far away from such an energetic advocacy of art. The radical cleansing of the contemporary began with the National Socialists in 1933. Since 1930, the Museum of Modern Art in New York has held up the sword of the avant-garde, whose fame Berlin now tries to re-import with considerable effort. During the era when Berlin was divided, the island in the West became a self-chosen dropout colony. In the backyard of the Federal Republic, punk and glam became the art of the streets and the galleries, while the museums shed tears of remembrance. In their buying, they attempted to fill the gaps from the thirties instead of continuing what had started so hopefully: a courageous advocacy of the contemporary.
In the 1990s, the galleries took on that task. It is thanks to them that the LA Times recently wrote: ‘Berlin has metamorphosed into the liveliest contemporary art and gallery scene in Europe.’
In the exhibition Painting Berlin, five positions in contemporary Berlin painting are presented.
Marten Frerichs (born in 1967) takes his subjects from pop culture. In the exhibition, a picture will be shown that is modelled on a photograph of a trashed living room in a squat of the English band Scritty Politti. The black-and-white lacquer painting will be hung on a wallpainting which is a variation of a record cover of the 80s band Human League.
Franziska Hufnagel (born 1967) paints dense tableaux whose models are less direct, they rather draw out of themselves. On the canvass, the well-known encounters the fantastic.
Kim Nekarda's (born 1973) pictures seem like film stills, unpopulated by humans, but without giving up narrative structure. Particularly important are recourses to the Japanese comic tradition and their peculiar structuring of space and images.
Eva Seufert’s (born 1966.) radically reduced pictures, done with spray paint, are based on a few gesticular or geometrical elements. The concrete contents point at first to nothing but themselves, leaving however room for further considerations.
David Tidball (born 1958 ) spent the last 20 years looking at trains and studying timetables. A globetrotter between London, Cairo and Berlin, for whom the old themes of the world are deepest passion. There is nothing left to say, in the words of Sir Conan Doyle, “The Game is afoot” and as Mary Poppin liked to say, “No Explanation required!”
© Marten Frerichs
"Some say it may has failed, but where are you prophets"
painting, 2005, ink, lacquer on canvas, 250 x 230 cm
Martin Frerichs, Franziska Hufnagel, Kim Nekarda, Eva Seufert, David Tidball
30. August – 22. September 2005
Berlin und die Kunst – das ist eine Hassliebe, die seit dem 19. Jahrhundert die Stadt bestimmt. Eine Geschichte von Aktion und Reaktion.
Der Wandel Berlins von einer preussisch nüchternen Hauptstadt zur amerikanisch geprägten Metropolis, deren Lichter hell die Moderne ausstrahlten, war eine Bewegung, die von unten angestoßen wurde, deren Impuls aber nicht bis nach oben reichte. Statt nach vorne schaute die politische und gesellschaftliche Spitze lieber in die Vergangenheit. Die Hohenzollern liebten den Historismus, eine offiziöse und patriotische Malerei. Die vom Kaiser bewusst gegen die Moderne gerichteten Erziehungsversuche bewirkten das Gegenteil. In einem weltoffenen Berliner Großbürgertum fand das avantgardistische Milieu geistigen Rückhalt. Die um 1900 einsetzende Sezessionsbewegung brachte gleichsam Maler wie Max Liebermann und Händler wie Paul Cassirer hervor, die jeweils mit den ihn eigenen Möglichkeiten für das Neue in der Stadt eintraten. Karl Scheffler, als Herausgeber der Kunstzeitschrift „Kunst und Künstler“ einer der scharfsinnigsten Verfechter der zeitgenössischen Kunst, schrieb 1910, dass Berlin dazu verurteilt sei, „immerfort zu werden, aber niemals zu sein.“ Die Beschreibung der Stadt wurde zur Beschreibung der Parameter einer modernen Kunst und hat in ihrer Aktualität an nichts eingebüßt. Die geistige und materielle Allianz von Großbürgertum und Künstler, das mäzenatische Eintreten für das Unbequeme, Anarchische und Revolutionäre vermochte es, die urbane Sprache der Straße zunächst in die Salons und schließlich die Museen zu bringen. Großzügige Schenkungen unterliefen die kaiserliche Museumspolitik und zogen ein Publikum heran, dass als das kritischste und anspruchsvollste in Europa galt. Ehrgeizige Sammlungen zeitgenössischer Kunst entstanden. Mit Ludwig Justi erhielt die Moderne 1919 ihr erstes eigenständiges Museum der Welt. Von solch einem kompromisslosen Eintreten für die Kunst ist die Stadt heute weit entfernt. Der radikale Kehraus des Zeitgenössischen begann mit den Nationalsozialisten 1933. Den Degen der Avantgarde schwang seit 1930 im Museum of Modern Art in New York, dessen Ruhm Berlin nun mühsam zu reimportieren versucht.
Im geteilten Berlin wurde die Insel im Westen zur selbstgewählten Aussteigerkolonie. Im Hinterhof der Bundesrepublik wurden Punk und Glamour zur Kunst der Straße und Galerien, während die Museen manche Träne der Erinnerung vergossen. Mit Ankäufen versuchte man lieber die Lücken der Nazizeit zu schließen als das fortzuführen, was hoffnungsvoll begann: Das mutige Eintreten fürs Zeitgenössische. In den 90er Jahren übernahmen die Galerien diese Aufgabe. Ihnen gebührt der Dank dafür, dass die LA Times vor kurzem schrieb: „Berlin has metamorphosed into the liveliest contemporary art and gallery scene in Europe“.
In der Ausstellung „Painting Berlin“ werden exemplarisch fünf Positionen für das malerische Schaffen in Berlin vorgestellt.
Marten Frerichs (geb. 1967) bezieht seine Inhalte aus der Popkultur. In der Ausstellung wird ein Bild zu sehen sein, das ein Foto eines vermüllten Wohnzimmers in einem besetzten Haus der englischen Band Scritti Politti zum Vorbild hat. Das Lackbild hängt auf einem Wandbild, das ein Plattencover der 80er Jahre Erfolgsband Human League variiert.
Franziska Hufnagel (geb. 1967) schafft malerische dichte Tableaus, deren Themen weniger Direktes zum Vorbild haben, sondern sich aus sich selbst schöpfen. Auf der Leinwand trifft Bekanntes auf Phantastisches.
Kim Nekardas (geb. 1973) Bilder wirken wie Filmstills, sind dabei menschenleer, ohne jedoch ihre narrative Struktur aufzugeben. Rückgriffen auf japanische Comictraditionen und den ihnen eigene Bild- und Raumgestaltung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu.
Die radikal reduzierten, mit Lack gesprühten Bildern von Eva Seufert (geb. 1966) bauen auf wenige gestische oder geometrische Elemente auf. Die konkreten Inhalte verweisen zunächst auf nichts anderes als sich selbst, lassen dann doch aber doch Raum für weitere Überlegungen.
David Tidball (geb. 1958) hat die letzten 20 Jahre luxuriös damit verbracht, Eisenbahnen anzuschauen und Fahrpläne zu studieren. Ein Weltenbummler zwischen London, Kairo und Berlin, der die alten Themen der Welt sein Eigen macht. Mehr ist nicht zu sagen, in den Worten von Sir Conan Doyle: „The Game is afoot“ und wie Mary Poppins pflegte zu sagen: „No Explanation required“.
Berlin and art – that is a hate-love relationship which has shaped the city since the nineteenth century. A history of action and reaction.
Berlin’s transformation from the sober Prussian capital to an American-influenced metropolis whose lights brightly illuminated modernism was a movement which was initiated from the bottom but didn’t reach the top. Instead of looking ahead, the political and social elites preferred to look to the past. The Hohenzollerns, the Prussian royal family, adored historicism, an academic, official and patriotic style of painting. The Kaiser’s pedagogic attempts against modernism backfired. The milieu of the avant-garde found intellectual backing in Berlin’s cosmopolitan bourgeoisie. The secession movement, which started around 1900, produced painters like Max Liebermann and art dealers like Paul Cassirer, who advocated as much as they could what was new in the city. Karl Schaffler, the editor of the art magazine Kunst und Künstler, one of the most astute advocates of contemporary art, wrote in 1910 that Berlin was condemned ‘to always become, but never be.’ This description of the city became a description of the parameters of modern art, and it still applies today as much as it did then. The intellectual and material alliance between the bourgeoisie and artists, the patronage of what was uncomfortable, of the anarchic and revolutionary, managed to introduce the urban language of the street first into the salons, and finally to the museums. Generous gifts undermined the emperor’s museum policies and educated an audience which had the reputation of being the most critical and demanding in Europe. Ambitious collections of contemporary art started to grow. In 1919, Berlin became the first city in the world with a museum for modernism, under the leadership of Ludwig Justi. Today, Berlin is far away from such an energetic advocacy of art. The radical cleansing of the contemporary began with the National Socialists in 1933. Since 1930, the Museum of Modern Art in New York has held up the sword of the avant-garde, whose fame Berlin now tries to re-import with considerable effort. During the era when Berlin was divided, the island in the West became a self-chosen dropout colony. In the backyard of the Federal Republic, punk and glam became the art of the streets and the galleries, while the museums shed tears of remembrance. In their buying, they attempted to fill the gaps from the thirties instead of continuing what had started so hopefully: a courageous advocacy of the contemporary.
In the 1990s, the galleries took on that task. It is thanks to them that the LA Times recently wrote: ‘Berlin has metamorphosed into the liveliest contemporary art and gallery scene in Europe.’
In the exhibition Painting Berlin, five positions in contemporary Berlin painting are presented.
Marten Frerichs (born in 1967) takes his subjects from pop culture. In the exhibition, a picture will be shown that is modelled on a photograph of a trashed living room in a squat of the English band Scritty Politti. The black-and-white lacquer painting will be hung on a wallpainting which is a variation of a record cover of the 80s band Human League.
Franziska Hufnagel (born 1967) paints dense tableaux whose models are less direct, they rather draw out of themselves. On the canvass, the well-known encounters the fantastic.
Kim Nekarda's (born 1973) pictures seem like film stills, unpopulated by humans, but without giving up narrative structure. Particularly important are recourses to the Japanese comic tradition and their peculiar structuring of space and images.
Eva Seufert’s (born 1966.) radically reduced pictures, done with spray paint, are based on a few gesticular or geometrical elements. The concrete contents point at first to nothing but themselves, leaving however room for further considerations.
David Tidball (born 1958 ) spent the last 20 years looking at trains and studying timetables. A globetrotter between London, Cairo and Berlin, for whom the old themes of the world are deepest passion. There is nothing left to say, in the words of Sir Conan Doyle, “The Game is afoot” and as Mary Poppin liked to say, “No Explanation required!”
© Marten Frerichs
"Some say it may has failed, but where are you prophets"
painting, 2005, ink, lacquer on canvas, 250 x 230 cm