Vertrautes Terrain - Collectors' Choice
21 May - 12 Oct 2008
HAAR SW (PHOTO I), 2007
Fotoabzug, 244 x 184 cm
Sammlung Grässlin, St. Georgen
© the artist
Foto: Courtesy Galerie Hammelehle und Ahrens, Köln
Es ist meine Party und ich werde weinen, wenn ich Dich will, 2005
Öl auf Leinwand, 300 x 220 cm
Sammlung Boros, Berlin
Foto: Sammlung Boros, Wuppertal
Die Ausstellung Vertrautes Terrain – Collectors' Choice im zweiten Obergeschoss des Museums entstand in enger Kooperation mit drei der mit dem ZKM | Museum für Neue Kunst kooperierenden Sammlungen – den Sammlungen Boros, Grässlin und der Landesbank Baden-Württemberg. Alle drei Sammlungen sind gekennzeichnet durch sehr unterschiedliche Ansätze und Konzepte, gleichwohl ihr Schwerpunkt und Interesse in der deutschen Kunstszene seit den 1980er-Jahren auszumachen sind. Diese spezifische Karlsruher Situation des Sammlermuseums, eine kulturpolitische Erfindung der 1990er-Jahre, erlaubte eine ideale Ergänzung zum Konzept der Ausstellung im Erdgeschoss. Die Sammler selbst wurden gebeten im Sinne der Düsseldorfer Ausstellungsidee von hier aus (1984) eine eigene Karlsruher Ausstellung einzurichten. Diese zeigt nun aus ihrer Sicht "Klassiker" der letzten 30 Jahre sowie junge Positionen. Mit dieser Präsentation und dem weiteren historischem Blick bis in die 1980er-Jahre soll eine andere Stimmung und Auseinandersetzung mit dem Thema Kunst in und über Deutschland ermöglicht werden.
Vergleichbar mit der Kernausstellung erhebt diese Sammlerausstellung keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Überblick, sondern gewährt Einblicke in die jeweils individuelle Sammlungsgeschichte und -politik sowie die deutsche Kunstgeschichte. Sie ermöglicht so eine Wiederbegegnung mit etablierten Positionen wie der international berühmt gewordenen Becher-Schule mit Andreas Gursky, Thomas Struth und Thomas Ruff oder einer heftigen, wild-provokanten Kunst von Künstlern wie Werner Büttner, Georg Herold, Martin Kippenberger, Albert Oehlen oder Markus Oehlen. Ebenso kommen konzeptionelle und kritische Ansätze wie bei Thomas Locher und Peter Zimmermann, Thomas Schütte, Rosemarie Trockel oder Christopher Williams zur Sprache. Martin Honert, Meuser, Tobias Rehberger und Andreas Slominski spiegeln deutsche Eigenheiten, Skurrilitäten oder greifen, wie Franz West, humoristische Metaphern auf, in denen der ach so schwierige Deutsche gerne augenzwinkernd unter die Lupe genommen wird. Eine Besonderheit und konzeptionelle Klammer zum Gesamtrahmen des Konzepts von Vertrautes Terrain stellt Reinhard Muchas Werk Brilon dar, dessen Skizze und Skulptur den Ursprung für seine raumgreifende Installation in der Düsseldorfer Ausstellung von hier aus bildete.
Malerische und skulpturale Positionen finden sich auch in der jüngeren Kunst von Collectors' Choice wieder: Konzeptuelle Arbeiten von Thomas Locher und Peter Zimmermann treffen auf Gemälde von Michel Majerus und einen Pilzwald von Cosima von Bonin, digital komponierte Farblandschaften bei Tim Berresheim auf gestisch-expressive Malereien von Daniel Richter oder Jonathan Meese; Materialumformungen von Michael Beutler korrespondieren mit momenthaften Lebensbeschreibungen und Abstraktionen in den Fotografien von Wolfgang Tillmans und dunklen Zeichnungen von Ulla von Brandenburg. Allgemein kennzeichnet die Kunst ein Wechselspiel zwischen Symbolischem und Imaginärem. Hier lebt das Reale einer deutschen Kunst auf, welches beredtes Beispiel ist und sein soll – nicht mehr und nicht weniger. Bemerkenswert, aber vor dem Hintergrund für die immer noch aktuelle Schwierigkeit des Videokunst-Sammelns nachvollziehbar, ist der Umstand, dass nur eine Videoarbeit in Collectors’ Choice vertreten ist, und zwar eine Videoskulptur von Marcel Odenbach. Das Hauptaugenmerk der Auswahl liegt klassischerweise auf den Medien Malerei, Fotografie und Skulptur, die sich auch für die museale Präsentation anbieten und hier bevorzugt wurden. Damit wird ein weiterer Kontrapunkt zur Ausstellung im Erdgeschoss gesetzt, in der sich die Medien stärker zu vermischen scheinen.
Generell ist auf der Ebene des Visuellen eine nationale Zuordnung schwierig und heikel; wenn jedoch wie im vorliegenden Fall eine themenspezifische Auswahl getroffen wird, kann ein fruchtbarer Dialog einsetzen. Ein Dialog darüber, was und warum gesammelt wird, der dazu führt, das eigene Sammlungsinteresse zu untersuchen. Denn insbesondere bei den Sammlern in Deutschland haben sich die Perspektiven verändert, wie der erst kürzlich eröffnete Bunker von Christian Boros in Berlin, die Räume für Kunst der Sammlung Grässlin in St. Georgen oder gar die Kunsthalle Weishaupt in Ulm exemplarisch zeigen. Diese Entwicklung stellt die Museen für Gegenwartskunst vor eine neue Herausforderung und deren Rolle erneut zur Diskussion. Für die Ausstellung Vertrautes Terrain bedeutet diese Tendenz, sich ihr auch innerhalb einer Ausstellung zu stellen und produktiv werden zu lassen. So versteht sich das gesamte Projekt Vertrautes Terrain nicht nur als eine Ausstellung von Museumskuratoren oder eine Ausstellung nur mit privaten Sammlungen. Vielmehr bringt dieses Projekt beide Ansätze in separaten Ausstellungsbereichen in einen gegenseitigen Dialog.
Ein weiterer Anknüpfungspunkt besteht zur Sammlung der Städtischen Galerie im ZKM-Gebäude, denn dort befinden sich Arbeiten von den "wahren" deutschen Malern Georg Baselitz, Markus Lüpertz, Sigmar Polke, oder auch ein Café Deutschland von Jörg Immendorf, bis zu Werken von Stephan Balkenhol, Katharina Fritsch und Corinne Wasmuht. Aus der Distanz, oder eben von oben aus dem zweiten Geschoss des Museums für Neue Kunst, sieht das vertraute Terrain wieder ganz anders aus.