PORNO 2.0
12 Nov - 14 Dec 2008
Die rasante Entwicklung der Kommunikationstechnologien und die Computerisierung bestimmen nahezu alle Facetten unseres Alltags. Die Rolle der Pornografie sollte bei der Entwicklung und Verbreitung neuer Medien und Technologien nicht unterschätzt werden. Wie Videorekorder, Privatfernsehen ist auch das Internet mit und dank ihr gewachsen. Vor allem während der Interneteuphorie in den 1990ern schienen die Möglichkeiten von Sex im Cyberspace grenzenlos. Virtueller Sex versprach neben Anonymität und der Loslösung vom biologischen Körper – und damit auch von sexueller Diskriminierung – eine zweite sexuelle Revolution auszulösen: Mehr Sex, besserer Sex, anderer Sex. Viele Fantasien gingen den technischen Möglichkeiten voraus: Computersex fand, wenn überhaupt, vor allem im Austausch erotischer Textbotschaften in Chatrooms statt.
Die Technikentwicklung der vergangenen Dekade hat uns näher an diese Fantasien gerückt. Es gibt einfache Bildübertragungen, Internetportalen, auf denen User_innen Filme und Bilder hochladen können, soziale Netzwerke und digitale Parallelwelten. Das World Wide Web ist eine unendliche Kontaktplattform zum Austausch von Sexfantasien jenseits von Raum und Zeit. Wenn Jede und Jeder eigene Inhalte ins Web 2.0 stellen kann, beginnt auch die Grenze zwischen Pornoproduzent_innen und -konsument_innen zu verschwimmen. Internetuser_innen erschaffen sich digitale Doppelgänger, für die die Grenzen der Veränderlichkeit des biologischen Körpers nicht gelten: Perfekte Schönheit ist programmierbar. Jenseits sexueller Tabus ist eine eigene Online-Sexkultur mit einem eigenen Vokabular, zahlreichen Praktiken und eigenen, alten und neuen Geschlechterrollen entstanden. Entgegen der Liberalisierungsfantasien vervielfacht sich jedoch auch sexuelle Ausbeutung und Prostitution in der digitalen Welt.
Die sieben internationalen, medienkünstlerischen Positionen in der Ausstellung Porno 2.0 im D21 Kunstraum Leipzig werfen Schlaglichter auf die Aktualität und Doppelbödigkeit sexueller Fantasien in der digitalen Welt.
Writing Desire (2000) ist ein fünfundzwanzigminütiger Videoessay von Ursula Biemann über das Verhältnis von Sprache und Körper und über das Entstehen von Begehren. Der schnell geschnittene Film verbindet das Schreiben als romantisches Begehren, mit der Bedeutung elektronischer Kommunikation für die zunehmende Loslösung des Körpers von Sexualität und von kommerziellen Geschlechterbeziehungen. Dieser zunächst virtuelle Austausch im boomenden Online-Brautmarkt findet seine physische und geopolitische Entsprechung in der physischen Migrationsbewegung von Frauen aus der Dritten in die Erste Welt.
Unter dem Titel CUM2CUT veranstalteten Tatiana Bazzichelli und Gaia Novati 2006 und 2007 ein unabhängiges Festival für Pornokurzfilme in Berlin. In den offenen viertägigen Wettbewerben waren die Teilnehmer_innen aufgerufen, den besten Pornofilm zu drehen, den sie schon immer sehen wollten. CUM2CUT ist ein offenes und freies Netzwerk, in dem sich Menschen mit dem Thema Pornografie auseinandersetzen können, ohne Ausgrenzungen zu fürchten. Als Teil der Queerbewegung und im Gegensatz zur etablierten Pornoindustrie ist CUM2CUT bestrebt, einer Sexualität jenseits sexueller Stereotype und fest gefügter Geschlechterrollen Ausdruck zu verleihen.
Der Künstler JLNDRR antwortet auf die Flut pornografischer Bilder im Internet, indem er sie und ihre digitalen Eigenschaften mitsamt den Dateifehlern als Material nutzt, das er digital verfremdet. Gleichsam zerhackt (so der Titel einer seiner Fotoreihen), sind sie zwar erkennbar pornografisch, dabei jedoch seltsam stillgelegt. Die Bildfolge The Hand – First Person (Porn) Shooter (2008) entwickelt Parallelen zwischen Bild gewordenen, männlichen Gewalt- und Sexfantasien. Der Titel zitiert Computerspiele, die zum Ziel haben, dass der Spieler, der das Geschehen aus der Perspektive seiner Figur erlebt, so viele Gegner tötet wie möglich. Das Bildmaterial sexualisiert dieses Allmachtsstreben und macht die sich endlos wiederholenden Bildmuster im Netz verbreiteter Amateurpornofilme offenbar: Die männliche Hand greift nach den Geschlechtsteilen der Frau. Die für Amateurpornos typischen Aufnahmen aus dem Blickwinkel der Akteure werden von professionellen, kommerziellen Pornos aufgrund der stärkeren Illusion, in den Sexualakt involviert zu sein, kopiert. Auch die billige Digitalfilmästhetik, die häuslichen Sets und den Vertrieb der Filme im Internet ahmt die Pornoindustrie den Hobbyproduzenten nach.
Deborah Kellys Sammlung von Spam-E-Mails bildet eine Art Bestandsaufnahme repressiver, sexueller Stereotype: die allbekannten Massen-E-Mails werben für Penisvergrößerungen, um dieses männliche Begehren nach dem größten Penis und Omnipotenz kommerziell auszubeuten. Als analoge Antworten auf die Allgegenwärtigkeit und ständige Verfügbarkeit von Internetpornografie reflektiert Kelly in persönlichen Papiercollagen über die „zulässigen“ Erscheinungsformen von Weiblichkeit. Viele Motive widmen sich dabei dem weiblichen Haar, das als langes Kopfhaar Inbegriff sinnlicher Weiblichkeit ist, während es an den anderen Körperteilen als hässlich gilt oder tabuisiert ist. Es steht für zahllose körperästhetische Ideale, die mit allen Mitteln von Kosmetik und Pharmazie bis zur Chirurgie verwirklicht werden. Zwei digitale Animationen demonstrieren dieses künstlerische Ringen um alternative Geschlechterrollen und -bilder.
Sophie Lautrus Serie Nude spielt in ihrer Bildsprache auf die bekannten Fotografien Nudes von Thomas Ruff an, in denen er im Internet vorgefundene Pornobilder mittels numerischer Mittel veränderte. Hier beginnt die Fotografin Sophie Lautru ihr bildnerisches Verwirrspiel, das die trügerische Beweiskraft fotografischer Bilder untergräbt. Die Fotografie Nude from London (2006) ähnelt Ruffs Bildern mit Vorsatz. Doch bei der scheinbar schlecht aufgelösten Computergrafik eines zwielichtigen sexuellen Aktes handelt es sich um die Schaufensterszenerie eines Unterwäschegeschäftes. Lautru hielt es in London fotografisch fest und bearbeitete es digital mit Unschärfefiltern. Die authentische Fotografie erscheint als künstlerisches Remake und Computerbild doppelt gefälscht, während die falschen Plastikkörper von Schaufensterpuppen lebendig wirken. In der für unser mediales Zeitalter typischen Unentwirrbarkeit von Echtem und Falschem, öffnet das Bild jeder Betrachterin und jedem Betrachter einen Raum für eigene Deutungen und sexuelle Fantasie.
Eva and Franco Mattes aka 0100101110101101.ORG sind mit unkonventionellen Kommunikationstaktiken, vor allem bewussten Falschmeldungen und Lügen, die sie in öffentliche Sphären einschleusen, bekannt geworden. In der Internetfantasiewelt Second Life haben sie sechs Perfomances bekannter Künstler_innen wie u. a. Joseph Beuys und Valie Export wiederaufgeführt. Viele der Aktionskunstwerke aus dem 20. Jahrhundert basieren auf authentischen Formen der Körpererfahrung wie Nacktheit und Schmerz. Körperliches Leid und Scham gibt es jedoch in der synthetischen Welt nicht. Die Wiederaufführung der Performance Imponderabilia von Marina Abramovic und Ulay aus dem Jahr 1977 zeigt, dass physische Erfahrungen mental nachempfunden werden können. Statt der lebendigen Körper von Abramovic und Ulay standen dreißig Jahre später die Avatare von Eva und Franco Mattes nackt im Durchgang eines virtuellen Museums. Die Entscheidung, wem sich die Besucher-Avatar_innen beim Durchschreiten der Tür zuwenden, ist dennoch eine bedeutungsgeladene Geste zwischen Spiel und Anmache.
John Tonkin hat zwischen 1995 und 2000 mehrere internetbasierte Arbeiten geschaffen, die die User_innen einladen, das Verhältnis ideeller Konzepte wie Subjektivität, wissenschaftlicher Glaubenssysteme und Körperbilder zu erforschen. Personal Eugenics (1999-2000) verspricht Jeder und Jedem, mit wenigen Mausklicken sein eigenes Wunschbild wahr zu machen. „Verändere Andere und Dich schnell und ohne Schmerzen“, so der Slogan. Der Eugenik entstand im 19. Jahrhundert mit dem Ziel einer genetischen Auslese der Menschheit. Nach dem millionenfachen Massenmord der Nationalsozialisten in Dienste ihrer Rassenhygiene geriet die Eugenik offiziell in Verruf – es ist jedoch unverkennbar, dass ihre ideologischen Grundlagen dennoch bis heute in Bevölkerungspolitik, in den Versprechungen von Gentechnik, Samenbanken und Schönheitschirurgie sowie in synthetischen Körpern virtueller Welten virulent sind.
Die Technikentwicklung der vergangenen Dekade hat uns näher an diese Fantasien gerückt. Es gibt einfache Bildübertragungen, Internetportalen, auf denen User_innen Filme und Bilder hochladen können, soziale Netzwerke und digitale Parallelwelten. Das World Wide Web ist eine unendliche Kontaktplattform zum Austausch von Sexfantasien jenseits von Raum und Zeit. Wenn Jede und Jeder eigene Inhalte ins Web 2.0 stellen kann, beginnt auch die Grenze zwischen Pornoproduzent_innen und -konsument_innen zu verschwimmen. Internetuser_innen erschaffen sich digitale Doppelgänger, für die die Grenzen der Veränderlichkeit des biologischen Körpers nicht gelten: Perfekte Schönheit ist programmierbar. Jenseits sexueller Tabus ist eine eigene Online-Sexkultur mit einem eigenen Vokabular, zahlreichen Praktiken und eigenen, alten und neuen Geschlechterrollen entstanden. Entgegen der Liberalisierungsfantasien vervielfacht sich jedoch auch sexuelle Ausbeutung und Prostitution in der digitalen Welt.
Die sieben internationalen, medienkünstlerischen Positionen in der Ausstellung Porno 2.0 im D21 Kunstraum Leipzig werfen Schlaglichter auf die Aktualität und Doppelbödigkeit sexueller Fantasien in der digitalen Welt.
Writing Desire (2000) ist ein fünfundzwanzigminütiger Videoessay von Ursula Biemann über das Verhältnis von Sprache und Körper und über das Entstehen von Begehren. Der schnell geschnittene Film verbindet das Schreiben als romantisches Begehren, mit der Bedeutung elektronischer Kommunikation für die zunehmende Loslösung des Körpers von Sexualität und von kommerziellen Geschlechterbeziehungen. Dieser zunächst virtuelle Austausch im boomenden Online-Brautmarkt findet seine physische und geopolitische Entsprechung in der physischen Migrationsbewegung von Frauen aus der Dritten in die Erste Welt.
Unter dem Titel CUM2CUT veranstalteten Tatiana Bazzichelli und Gaia Novati 2006 und 2007 ein unabhängiges Festival für Pornokurzfilme in Berlin. In den offenen viertägigen Wettbewerben waren die Teilnehmer_innen aufgerufen, den besten Pornofilm zu drehen, den sie schon immer sehen wollten. CUM2CUT ist ein offenes und freies Netzwerk, in dem sich Menschen mit dem Thema Pornografie auseinandersetzen können, ohne Ausgrenzungen zu fürchten. Als Teil der Queerbewegung und im Gegensatz zur etablierten Pornoindustrie ist CUM2CUT bestrebt, einer Sexualität jenseits sexueller Stereotype und fest gefügter Geschlechterrollen Ausdruck zu verleihen.
Der Künstler JLNDRR antwortet auf die Flut pornografischer Bilder im Internet, indem er sie und ihre digitalen Eigenschaften mitsamt den Dateifehlern als Material nutzt, das er digital verfremdet. Gleichsam zerhackt (so der Titel einer seiner Fotoreihen), sind sie zwar erkennbar pornografisch, dabei jedoch seltsam stillgelegt. Die Bildfolge The Hand – First Person (Porn) Shooter (2008) entwickelt Parallelen zwischen Bild gewordenen, männlichen Gewalt- und Sexfantasien. Der Titel zitiert Computerspiele, die zum Ziel haben, dass der Spieler, der das Geschehen aus der Perspektive seiner Figur erlebt, so viele Gegner tötet wie möglich. Das Bildmaterial sexualisiert dieses Allmachtsstreben und macht die sich endlos wiederholenden Bildmuster im Netz verbreiteter Amateurpornofilme offenbar: Die männliche Hand greift nach den Geschlechtsteilen der Frau. Die für Amateurpornos typischen Aufnahmen aus dem Blickwinkel der Akteure werden von professionellen, kommerziellen Pornos aufgrund der stärkeren Illusion, in den Sexualakt involviert zu sein, kopiert. Auch die billige Digitalfilmästhetik, die häuslichen Sets und den Vertrieb der Filme im Internet ahmt die Pornoindustrie den Hobbyproduzenten nach.
Deborah Kellys Sammlung von Spam-E-Mails bildet eine Art Bestandsaufnahme repressiver, sexueller Stereotype: die allbekannten Massen-E-Mails werben für Penisvergrößerungen, um dieses männliche Begehren nach dem größten Penis und Omnipotenz kommerziell auszubeuten. Als analoge Antworten auf die Allgegenwärtigkeit und ständige Verfügbarkeit von Internetpornografie reflektiert Kelly in persönlichen Papiercollagen über die „zulässigen“ Erscheinungsformen von Weiblichkeit. Viele Motive widmen sich dabei dem weiblichen Haar, das als langes Kopfhaar Inbegriff sinnlicher Weiblichkeit ist, während es an den anderen Körperteilen als hässlich gilt oder tabuisiert ist. Es steht für zahllose körperästhetische Ideale, die mit allen Mitteln von Kosmetik und Pharmazie bis zur Chirurgie verwirklicht werden. Zwei digitale Animationen demonstrieren dieses künstlerische Ringen um alternative Geschlechterrollen und -bilder.
Sophie Lautrus Serie Nude spielt in ihrer Bildsprache auf die bekannten Fotografien Nudes von Thomas Ruff an, in denen er im Internet vorgefundene Pornobilder mittels numerischer Mittel veränderte. Hier beginnt die Fotografin Sophie Lautru ihr bildnerisches Verwirrspiel, das die trügerische Beweiskraft fotografischer Bilder untergräbt. Die Fotografie Nude from London (2006) ähnelt Ruffs Bildern mit Vorsatz. Doch bei der scheinbar schlecht aufgelösten Computergrafik eines zwielichtigen sexuellen Aktes handelt es sich um die Schaufensterszenerie eines Unterwäschegeschäftes. Lautru hielt es in London fotografisch fest und bearbeitete es digital mit Unschärfefiltern. Die authentische Fotografie erscheint als künstlerisches Remake und Computerbild doppelt gefälscht, während die falschen Plastikkörper von Schaufensterpuppen lebendig wirken. In der für unser mediales Zeitalter typischen Unentwirrbarkeit von Echtem und Falschem, öffnet das Bild jeder Betrachterin und jedem Betrachter einen Raum für eigene Deutungen und sexuelle Fantasie.
Eva and Franco Mattes aka 0100101110101101.ORG sind mit unkonventionellen Kommunikationstaktiken, vor allem bewussten Falschmeldungen und Lügen, die sie in öffentliche Sphären einschleusen, bekannt geworden. In der Internetfantasiewelt Second Life haben sie sechs Perfomances bekannter Künstler_innen wie u. a. Joseph Beuys und Valie Export wiederaufgeführt. Viele der Aktionskunstwerke aus dem 20. Jahrhundert basieren auf authentischen Formen der Körpererfahrung wie Nacktheit und Schmerz. Körperliches Leid und Scham gibt es jedoch in der synthetischen Welt nicht. Die Wiederaufführung der Performance Imponderabilia von Marina Abramovic und Ulay aus dem Jahr 1977 zeigt, dass physische Erfahrungen mental nachempfunden werden können. Statt der lebendigen Körper von Abramovic und Ulay standen dreißig Jahre später die Avatare von Eva und Franco Mattes nackt im Durchgang eines virtuellen Museums. Die Entscheidung, wem sich die Besucher-Avatar_innen beim Durchschreiten der Tür zuwenden, ist dennoch eine bedeutungsgeladene Geste zwischen Spiel und Anmache.
John Tonkin hat zwischen 1995 und 2000 mehrere internetbasierte Arbeiten geschaffen, die die User_innen einladen, das Verhältnis ideeller Konzepte wie Subjektivität, wissenschaftlicher Glaubenssysteme und Körperbilder zu erforschen. Personal Eugenics (1999-2000) verspricht Jeder und Jedem, mit wenigen Mausklicken sein eigenes Wunschbild wahr zu machen. „Verändere Andere und Dich schnell und ohne Schmerzen“, so der Slogan. Der Eugenik entstand im 19. Jahrhundert mit dem Ziel einer genetischen Auslese der Menschheit. Nach dem millionenfachen Massenmord der Nationalsozialisten in Dienste ihrer Rassenhygiene geriet die Eugenik offiziell in Verruf – es ist jedoch unverkennbar, dass ihre ideologischen Grundlagen dennoch bis heute in Bevölkerungspolitik, in den Versprechungen von Gentechnik, Samenbanken und Schönheitschirurgie sowie in synthetischen Körpern virtueller Welten virulent sind.