Kestner Gesellschaft

Jos De Gruyter und Harald Thys

27 May - 14 Aug 2011

Jos de Gruyter & Harald Thys, Untitled (No. 44) 2010
C-Print on wood | 48 x 60 cm
Courtesy Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin © Jos de Gruyter & Harald Thys
JOS DE GRUYTER UND HARALD THYS
Objekte Als Freunde
27 May – 14 August 2011

In der mehr als 20-jährigen Zusammenarbeit von Jos de Gruyter (*1965 in Geel, Belgien, lebt in Brüssel) und Harald Thys (*1966 in Wilrijk, Belgien, lebt in Brüssel) sind zahlreiche Videos, Fotografien, Objekte und Performances entstanden. Durch ihr gesamtes Œuvre zieht sich das obsessive Kreisen um die Frage nach den Möglichkeiten des Einzelnen, sich als handelndes Subjekt zur Umwelt und anderen Individuen ins Verhältnis zu setzen und bedeutungsvolle Beziehungen aufzubauen. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage führt in den Arbeiten des Duos zu einem schmerzvollen Zwischenzustand, in dem die Figuren steckenbleiben, wortlos und zwanghaft. Es entstehen absurde, von Kargheit und Unbeholfenheit geprägte Szenarien des Eingeschlossen-Seins, der latenten Aggression und Grausamkeit.

Gesten und Handlungen werden in den Videos des Künstlerduos stark verlangsamt bis hin zu standbildartigen Sequenzen. Die Figuren sind meist sprachlos, geben allenfalls verzerrte Laute von sich, während Dinge eine ihnen gegenüber gleichberechtigte Rolle einnehmen. Sie scheinen ebenso belebt oder unbelebt wie die namenlosen Menschen, die wiederum im Bann der Dinge stehen. Das Video »Das Loch« (2010), das zeitgleich zur Hannoveraner Ausstellung im Neuen Aachener Kunstverein gezeigt wird, kann als Prolog zu »Objekte als Freunde«betrachtet werden. In diesem Video werden Menschen schließlich durch Dinge ersetzt, nämlich durch dilettantisch gefertigte Styropor-Puppen. Die verzerrten Computerstimmen der Figuren Fritz, Johannes und Hildegard erzählen hier Anekdoten, die von technischen Geräten, Sauftouren und Hochgeschwindigkeitsfahrten im Auto handeln. In diesen Geschichten liegt eine dumpfe Brutalität und Stumpfheit, emotionale Regungen werden nur vom Maler Johannes geäußert. Seine Gottesfurcht sowie seine Liebe zu Farben und zur Natur unterscheiden ihn zwar deutlich von den anderen Figuren, münden aber letztlich nur in Verzweiflung und Todessehnsucht.

Die Stimme von Johannes ist es auch, die die Ausstellung im Erdgeschoss der kestnergesellschaft begleitet. In einem für diese Ausstellung produzierten Video hören wir einen Monolog über Wirkungen und symbolische Bedeutungen von Farben. Illustriert wird der Vortrag durch kreisförmige Farbflächen. Diese diffusen Kreise exemplifizieren Farben, die in der übrigen Ausstellung krass zwischen Grautönen und Weiß hervorstechen: Auf 21 Stellwänden hängen insgesamt 168 Fotografien (»Ohne Titel«, 2010–2011) von gleichförmig ausgeleuchteten, auf einer grauen, staubigen Oberfläche platzierten Objekt-Arrangements. Wir sehen einen geknickten Regenschirm, ein Ensemble von Gefäßen mit Gesichtern, Stoff, Styropor, Keramik, Radkappen usw. Die Objekte stammen aus Ein-Euro-Läden, von Flohmärkten, aus Amateur-Töpferkursen oder wurden aufgelesen in Second-Hand-Shops in ländlichen Gegenden – es handelt sich also um abgelegte, kaputte oder nutzlose Gegenstände, die hier, auf diesen Fotos, ihren letzten Auftritt haben, bevor sie endgültig verschwinden. Eine potenziell unendliche Welt der Objekte und Objektbeziehungen entfaltet sich vor den Augen des Betrachters, unsterblich gemacht durch das Medium der Fotografie.

Jedes Staubkorn wird auf diesen Bildern präzise erfasst, die Hintergründe stimmen farblich so perfekt überein, dass der Eindruck einer künstlich erzeugten Hyperrealität, einer Science-Fiction-Fantasie entsteht. Dabei stehen der Schlagschatten der Objekte und die starke Reflektion des Blitzlichtes in keinem Verhältnis zur Ausleuchtung der Dinge selbst. Tatsächlich besteht jedes einzelne Bild aus mehreren Aufnahmen, die schließlich zu einem einzigen montiert werden – es handelt sich um konstruierte Maschinenbilder, die eine digital erzeugte Welt zeigen. Seit der Erfindung der Fotografie im 19. Jahrhundert gilt es, den Blick des Apparates weiter zu erkunden, also die technische Erzeugung von Bildern auszuloten, Wirklichkeit fotografisch immer wieder neu zu entwerfen. Die kunstvolle Inszenierung von Objekten im Stillleben (oder »nature morte«) – eine Gattung eigentlich der Malerei, die sich in der Frührenaissance entwickelte und eine Blütezeit im Barock erlebte – ist ein traditionelles Testfeld für Möglichkeiten, Texturen der dinglichen Welt wiederzugeben. Die Inszenierungen des Unbelebten rufen die Endlichkeit der Dinge und des Lebens ins Bewusstsein, verweisen als »memento mori« (»Sei eingedenk, dass du sterben musst«) auf den Tod.

Die Objekt-Ensembles auf den Bildern von de Gruyter & Thys wirken unheimlich, bisweilen komisch und in jedem Fall fremd. Das Unheimliche ist nach Sigmund Freud nicht das vollkommen Fremde, sondern dasjenige, das zugleich vertraut und unvertraut ist, nur einen Schritt der gewohnten Vorstellungs- und Alltagswelt entrückt. Die Vorstellung einer verzerrten, traumartigen Parallelwelt wird auch in der Gestaltung der Ausstellungsräume aufgenommen – bis hin zur Benennung der gewöhnlich namenlosen größeren Ausstellungshalle in »Johannes-Halle«, womit die gegenüberliegende »Claussen-Halle« (so benannt zur Erinnerung an den Förderer Prof. Dr. Dr. h.c. Carsten P. Claussen) gespiegelt wird. Jos de Gruyter & Harald Thys begreifen den Ausstellungsraum nicht als neutrale Präsentationsfläche, sondern als künstlerisches Medium, als symbolisches Terrain, als eine weitere, Sinn stiftende Oberfläche, die Teil der Erfahrung von Kunst ist. Zusammen mit dem Motiv der Einladungskarte, des Posters und Ausstellungsbanners entsteht ein Gesamtkunstwerk, das das Unpersönlich-Maschinenhafte der Fotos und der Stimme des Johannes fortschreibt. Das Anti-Design, eine Ästhetik der Hässlichkeit und Kargheit, wird hier konsequent verfolgt und verstärkt den Eindruck von Entfremdung, Leere und technoider Kälte. Der Titel der Ausstellung »Objekte als Freunde« wirft Fragen auf: Wessen Freunde sind sie? Wie definiert man die Freundschaft zu einem Objekt? Zu wem gehören die Dinge? Wovon erzählen sie? Was erzählen sie über uns? Wieviel Zeit verbringen wir mit dem Kauf von Objekten, ihrer Pflege und schließlich ihrer Entsorgung? Welche Bedeutung haben die Dinge für unser Dasein, unser Wohlbefinden?

»Objekte als Freunde« wird in Zusammenarbeit mit dem Neuen Aachener Kunstverein (NAK) durchgeführt, wo vom 27. Mai bis 10. Juli 2011 die Ausstellung »Das Loch«von Jos de Gruyter und Harald Thys zu sehen ist. Die Schau in der kestnergesellschaft wandert im Anschluss in das Ausstellungshaus Culturgest (Porto, Herbst 2011) sowie in das Museum Muzee (Ostende, Frühjahr 2012).