Kunstverein Leipzig

Una H. Moehrke

04 May - 01 Jun 2006

Una H. Moehrke | erscheinen und verschwinden
vom 4. Mai bis 1. Juni 2006
Eröffnung: Donnerstag, 4. Mai um 19 Uhr
Begrüßung: Josef Filipp

Zur Ausstellung wurde ein Katalog
von der Stiftung Stadtmuseum Berlin
in Kooperation mit dem Kunstverein
Leipzig herausgegeben.


Erscheinen und Verschwinden in den Bildern von Una H. Moehrke von Ingrid Hentschel

Es sind klare, und intensiv farbige Bilder. Dabei sind sie alle in irgendeiner Weise auch pastellfarben. Sie suchen uns nicht, der Betrachter muss hingehen. Sonst sieht er nichts außer den großen Farbflächen. Erst wenn er sich in Bewegung setzt, enthüllt die Oberfläche das Bild. Bilder, die sich verflüchtigen, als hätte die Künstlerin sie eingefangen, kurz bevor sie in Erscheinung treten, oder in dem Augenblick, wo sie noch eben verbleiben, bevor sie entschwinden. Was ist auf diesen Bildern zu sehen? Nichts? Es ist »nur in« ihnen etwas zu sehen. Der kräftige Farbauftrag, Pinselstriche, die bisweilen eine Objekthaftigkeit annehmen, manchmal Gewicht zeigen, dann wieder flüchtig, schwerelos im Raum des Bildes zu schweben scheinen. Aber gibt es einen Raum? Das Malen selbst ist der Raum, der sich öffnet. Linien schwimmen, durchziehen ein Bild, scheinen auf, markieren die Spur von etwas. Linien? Mehr nicht, als dass etwas gewesen ist oder sein könnte. Und immer wieder Anklänge des Anthropomorphen, Augenpaare, Punkte, menschliches Gesicht. Schaut uns unvermutet aus dem Farbganzen heraus an, blickt über eine Mauer oder verschwindet es gerade? Nein, kein Blick. Abglanz eines Blicks, der Schimmer, den wir noch eben erhaschen. Linie die sich entzieht, oder noch gar nicht Linie geworden ist. Sehen wir etwas hinein oder schaut etwas heraus? Dabei Freude über soviel Flüchtigkeit, über eine Zartheit des Seins, die ständig gegenwärtig ist. Für denjenigen, der am Bild entlang geht, ihm entgegen kommt, in Bewegung ist.

Was ist es, das da erscheint und sich entzieht? Fast wäre man versucht zu sagen, es sei das Sein selbst, wenn dieser Begriff nicht zu groß und von der Philosophiegeschichte her zu befrachtet wäre, als dass er den schlichten farbigen Bildtafeln Una H. Moehrkes entsprechen könnte. Eher ist an die fernöstliche Auffassung des Seins zu denken, als dem, was allem zugrunde liegt, das nicht spektakulär, sondern einfach und alltäglich wahrnehmbar ist. Kein erhabenes Erlebnis der Präsenz, sondern die schwarze Linie auf weißem Grund, der durchsichtige Tee in der Tasse, das Perlen des Wassers. So sollte man angesichts dieser Bilder vom Sein als etwas Unspektakulärem sprechen und dabei an die Einfachheit eines weißen Raums denken, an den Wind, der durch Zweige streicht, und eine Malerei, die Malerei ist und sonst nichts, keine Repräsentation von Etwas. Alles ist sie selbst. Also doch vom schlichten Sein reden.

Das Sein ist etwas Abstraktes, es ist das was immer ist, und unwandelbar allem zugrunde liegt. So es ist die Musik, auch die abstrakte nichtfigurative Malerei und Plastik, die sich ihm nähern können, denn das Sein wird gedacht. Aber es ist in der philosophischen Abstraktion zu erfahren und in der meditativen Kontemplation, oder dann, wenn uns das Leben mit einem Mal gegenwärtig wird, wie es eben in der Kunst bisweilen der Fall ist. Sein ist nicht Dasein, lässt sich nicht greifen, nicht beschreiben, zieht sich zurück in ein Wort. Ohne das Sein ist Nichts. Aber das Sein selbst ist nichts ohne zum Dasein oder zum Bewusstsein zu gelangen.

In abend- oder morgenländischer Tradition, in christlicher oder buddhistischer Religion, ob bei Parmenides, bei Hegel oder Heidegger, das Sein ist nicht zu fassen, aber zu erfahren. Als Tatsache des Bewusstseins wie der eigenen Erfahrung. Wir alle wissen, dass wir sind, und wir wissen von einander, dass wir sind, also auch der andere ist wie wir. Alles was uns umgibt, ist wie nur etwas ist, ist verbunden durch dieses eine Sein, in all seiner Verschiedenartigkeit. Das Sein ist die gemeinsame Heimat von allem was ist auf der Welt. Von Mensch, Natur, Kosmos, Technik. Es ist so selbstverständlich, dass wir es nicht bemerken.
Aber die Kunst rührt es an.

Und mit dem Sein gibt es die Erfahrung des Verschwindens. Wir selbst wissen es, dass wir verschwinden werden, wie wir vor unserer Geburt noch nicht waren. Wir schließen die Augen und versuchen unser Denken abzustellen, das Sein entschwindet, der Faden eines Gedanken bleibt, der versucht es festzuhalten, damit es wieder erscheinen kann. Der Tod wäre viel zu dramatisch, um dieses Erscheinen und Verschwinden auszudrücken. Der Tod ist schwarz, wird als Ende gedacht. Jedenfalls in unserer Kultur. Aber das was in Una H. Moehrkes Bildern immer wieder erscheint, ist das was niemals wirklich verschwindet. In diesem Sinne sind es Bilder, die das Sein erhaschen. Als Spur, Zeichen, Gegenwart.


© Una H. Moehrke »Ironie des Icons« 2004 30 x 40cm Öel auf Leinwand