Charim

Carmen Brucic

10 Oct - 10 Nov 2007

CARMEN BRUCIC
„Symmetrien des Abschieds“

Eröffnung: Dienstag 9. Oktober 2007, 20 Uhr
Ausstellung: 10. Oktober - 10. November 2007
Katalogpräsentation: 6. November 2007, 20:00 Uhr

Die symmetrische Ordnung, in der sich Liebende begreifen, hat ihre Entsprechungen auch in den Symmetrien des Abschieds. Trennungen machen allerdings Ausgleichsbewegungen notwendig, die nicht unbedingt auf die Erreichung eines Gleichgewichts hinaus laufen müssen. Sie können auch ein Taumeln sein, um, wie im Tanz, den Körper im Wechselspiel emotioneller Zentrifugalkräfte und der Schwerkraft der Unabänderlichkeit fühlbar zu machen. Dass die Welt während dieser Delirien des Herzens bewegt und verschwommen wahrgenommen wird, um sich gleichsam in ihrer Konsistenz aufzulösen, kann als Gegensatzbildung zur fast absoluten Ruhe der Geborgenheit in einem Kuss, einer Umarmung und der Berührung verstanden werden. Wenn die Trennung der Liebenden der Blick des Anderen auslöscht, schwindet auch das Augenlicht, in dem die Welt für Momente erstrahlen konnte. Die Fotografie eines Kusses ist auch der Ausgangspunkt für die Choreografie von Bildern und Diaprojektionen in unserer gegenwärtigen Ausstellung von Carmen Brucic. Sie erlangte bisher hauptsächlich durch ihre Theaterarbeit Bekanntheit, und darin zeigt sich auch das Wagnis ihrer „Inszenierung“ in den Räumen unserer Galerie. Das Schauspiel, wie auch Film und Literatur, scheinen die idealen Medien für Erfahrungen zu sein, die wir gerne als „große Gefühle“ bezeichnen, wie etwa Liebe, Leidenschaft, Verzweiflung... Wie können jedoch Fotografien genau das fassen, was sich nur im Ablauf der, vom Herzschlag rhythmisierten Lebenszeit, als Glückstaumel der Verliebtheit oder, nach Verlust und Trennung, als Prozess der Trauerarbeit, ereignen kann?
Es scheint fast so zu sein, dass die Fotografie nur in der Lage wäre, in Hauptwörtern zu stammeln, Einzelbild um Einzelbild, während eine einzige Opernarie die Erfahrungssumme durchlebten Glückes in all ihren Nuancen vermittelt. Eine zusätzliche Herausforderung liegt im unweigerlich anklingenden Gefühlspathos, das oft an die Grenzen des Lächerlichen heran führt, wenn existentiellen Erfahrungen der Adel der Kunst verliehen werden soll. Und dennoch scheinen wir genau deshalb der kulturell geformten Erfahrungen durch Kunst zu bedürfen, da wir unser eigenes Begehren und Hoffen oft mit „Lächerlichkeit“ umkleiden, zum Schutz vor archaisch-anarchischen Mächten, die wir tief in uns eingeschlossen haben und mit Vernunftgründen umfasst halten. Und, wir scheinen auch eine Sphäre des Unbenannten zu benötigen, die von Andeutungen, Ahnungen und den Geistern der Erinnerung geprägt ist, um der Anerkennung des Unabänderlichen zu trotzen. Vielleicht nur für eine gewisse Zeit, damit Kunstwerke in diese Sphäre hinein reichen und heraus führen können. So wie Orpheus einst durch die Macht der Poesie dorthin gelangen konnte, bedürfen auch wir einer Poetisierung unserer Erfahrungen, um den Fetischen einstigen Glücks oder Unglücks den Götzendienst verweigern zu können.
Die Deutung der Fotografie, als säkulares Schattenreich im Diesseits, in dem sich Fragmente gelebter Zeit aufbewahren lassen, macht viele der Phantome unserer Sehnsüchte, mittels ihrer fotografischen Verdinglichung greifbar. Wie die Fotografie eines Kusses, beispielsweise, die Carmen Brucic den Gezeiten aussetzt und bei verschiedenen Lichtverhältnissen wieder fotografiert. Die dokumentierte Spur ihres Entschwindens ersetzt im symmetrischen Ausgleich das, was verloren gegangen ist. Mehr noch, die neuen, abstrakt wirkenden Fotografien „Degradation eines Kusses“ überzeugen durch eine eigne Bildrealität, die nach und nach keiner Vergangenheit mehr bedarf. Symmetrien sind auch im zweiten Teil der Ausstellung ordnende Prinzipien. So etwa bei der Konstruktion des BildRaumes, in dem die emotionellen Abgründe nach Trennung und Verlust Platz haben sollen. Sie erfolgt nach den Prinzipien der getakteten Zeit und nach den Ordnungen von Fläche und Tiefe. Es ist ein „idealer“ Raum, die Koordinaten der Bildfläche und der Projektionen legen ihn fest. In diesem Gehäuse des Schmerzes ist alles Unstetige aufgehoben; geborgen einerseits aber auch aufgelöst und annulliert. Das was darin eingeschlossen ist und verzerrt erscheint, wie der Körper der Frau, ist ein Erinnerungsrest aus vergangenen Tagen. Der mechanisch geräuschvolle Takt des Diaprojektors fungiert als Zählgeräusch der unerbittlich verstreichenden Zeit und im Rhythmus wiederholter Bildsequenzen wird der geisterhafte Schatten dieser Frau zur Wiedergängerin ihrer Sprachlosigkeit, da sie den Häschern ihres Unglücks nicht entkommen kann. Das was sie nicht sagen kann, muss sie agieren: „Dein Kuss war wie ein Versprechen, dessen Worte ich nicht mehr hören konnte, da Du Dich losgerissen hast. Nun folge ich der Purpurspur des Schmerzes, den dieser Riss hinterlassen hat, um im steten Wechsel des Lichts den Phantomen meiner Sehnsucht zu begegnen.“
In einer dritten Bildserie hat Carmen Brucic die projizierten Bilder erneut abfotografiert und den Kreislauf der Wiederholungen in die Stille und Statik eines Bildobjektes gebannt. Die Bühne der Ursprungsszene, die in der Installation noch zu betreten war, bleibt verlassen zurück.
Kurt Kladler