Forum für Fotografie

Clemens Kalischer

11 Jan - 22 Feb 2009

© Clemens Kalischer
Displaced Persons, Three Men in Darkness, 1948
CLEMENS KALISCHER
"The Invisible Photographer"

11. Januar bis 22. Februar 2009
Eröffnung: 10. Januar 2009, 16.00 Uhr

Man muss den richtigen Moment abwarten können, ein stummes Zwiegespräch mit den Menschen führen.
Clemens Kalischer

Diskutierende Kinder in den Straßen New Yorks, Arbeiter in den Kohlegruben Pennsylvanias oder Flüchtlinge mit Kisten und Koffern aus Hitlers Europa am Hafen von New York - Clemens Kalischer dokumentiert mit seinen Schwarz-Weiß-Fotografien Augenblicke des menschlichen Alltags, denen nichts Spektakuläres anhaftet. Bezwingend an den Momentaufnahmen sind vielmehr deren Unmittelbarkeit und Klarheit: Kalischer zeigt uns Menschen in ihren sozialen Zusammenhängen, die ihn interessieren und bewegen; seine Bilder erzählen Geschichten, die wir – und auch der Künstler - nicht kennen, uns aber unwillkürlich veranlassen, sie zu erfinden und weiterzudenken. So emotional Kalischer die Welt um sich herum wahrnimmt, bleibt sein Blick als Künstler doch immer distanziert und frei von Sentimentalität und Urteil.
Er interpretiert und kommentiert nicht, deckt nichts auf, belastet seine Fotografien nicht mit Theorien. Indem Kalischer den Menschen, die er ablichtet, nie zu nahe tritt, gelingt es ihm, als Fotograf „invisible“ zu bleiben. Selbst in seiner bewegenden Fotoserie von Flüchtlingen, den „Displaced Persons“, bleibt er außen vor, mischt sich nicht ein: Die Gesten der Menschen sprechen für sich, keine Botschaft des Künstlers stört das Gegenüber von Bildmotiv und Betrachter.
„Ein typisches Kalischer-Foto legt keine bedeutungsvollen Ebenen zwischen den Betrachter und das Motiv; es vermittelt stattdessen das Gefühl, der Fotograf habe einfach einen Moment im Strom des Lebens herausgegriffen und ihn in der Emulsion erstarren lassen.“ (Miles Unger)
Dass der Künstler sämtlichen Dogmen und Ismen ablehnend gegenübersteht, ist nicht allein biografisch bedingt; dieser Widerstand gründet sich auch in seinem Selbstverständnis als Kunstfotograf: Behindern doch solche Filter die direkte, unvoreingenommene Betrachtung der Welt und machen den Künstler sichtbar.
Die sowohl handwerklich als auch und künstlerisch hochwertigen Fotografien von Kalischer sind stark architektonisch geprägt; dennoch dominiert, von wenigen Ausnahmen abgesehen, der Ort nicht, sondern bleibt stets mit den Menschen verbunden, die hier leben und arbeiten, ankommen oder durchreisen.
Kalischer erzwingt und arrangiert sein Motiv nicht; er durchstreift die Umgebung, in der er sich gerade befindet, spürt besondere, vorübergehende Momente der Normalität auf und fängt sie mit seiner Kamera ein. Geduld hat er dabei für die „stummen Zwiegespräche“ mit den Menschen. So zeigen sich dem Betrachter Standbilder unserer Welt, wie sie ist. Sie haben nichts Fragwürdiges und Falschen an sich, weil ihnen das Manipulierte, Verzerrte oder Irreführende fremd ist.
Clemens Kalischer ist ein typischer Vertreter der klassischen Fotografie des 20. Jahrhunderts. Dass er ein wenig in Vergessenheit geraten ist, mag vielleicht daran liegen, dass ihm die Selbstinszenierung als Künstler abgeht. 1921 in Lindau geboren und in Berlin aufgewachsen, muss Kalischers Familie 1933 Deutschland verlassen.
In Frankreich studiert er zunächst, bis er als deutscher Jude 1939 interniert wird. Drei Jahre in acht Internierungslagern folgen. 1942 kann Kalischer dank der Hilfsorganisation von Eleanor Roosevelt mit einem Not-Visum in die USA fliehen. In New York studiert er an der New School Fotografie und beginnt seine Karriere als Fotograf. Seinen ersten Auftrag erhält er von der France Press Agence, für die er die letzte Fahrt der „Normandie“ fotografisch dokumentiert. Bald darauf erhält er Aufträge von der New York Times, für die er bis heute arbeitet. Seine Motive sind zunächst die Straßen und Menschen New Yorks. 1955 gelingt ihm der internationale Durchbruch als Fotokünstler mit seiner Beteiligung an der Ausstellung „The Family of Man“ im New Yorker Museum of Modern Art. Heute lebt Kalischer im Bundesstaat Massachusetts.