D21

D21/LAB: Yvon Chabrowski & Matthias Zielfeld – Land

26 Nov - 11 Dec 2011

Yvon Chabrowski
Ausstellung vom 26. November bis 11. Dezember 2011

Eröffnung: Freitag, 25. November 2011, 19 Uhr mit einer Performance von Michael Barthel, 20 Uhr

„Land“ hört sich unschuldig, unberührt, unhistorisch an. Irrtum. Landschaften sind das Resultat von Geschichtsschichten. Der Blick auf das Detail spiegelt die Komplexität aus Vergangenheit und Gegenwart. Im Land ist der Staat eingeschrieben. Quasi deduktiv archäologisch vertieft sich Yvon Chabrowskis und Matthias Zielfelds Ausstellung „Land“ mit Videoarbeiten, Fotoserien und fotochemischen Experimenten in die Schichten von Landschaften, Traditionen, Wirtschaftsformen, Staat, Utopie und Erinnerung.

Yvon Chabrowski

In ihren Arbeiten beschäftigt sich Yvon Chabrowski mit der Konstruiertheit und Wirkungsmacht von Bildern. Die Videoprojektionen „sun“ (2011) und „land“ (2011) bestehen aus gelooptem Bildmaterial, das die Künstlerin aus der populären TV-Dokumentation „Die Gefangenen“ von Guido Knopp editiert hat. Die Auswahl einzelbildhafter, suggestiver Landschaften (Sonnenuntergang hinter Stacheldraht und vorbeiziehende Winterlandschaft) und die minimale, irritierende Bewegung im Bild lassen den Betrachter nach der Gemachtheit von Wirklichkeit fragen.

Während die Videofragmente das fiktive Moment und die Konstruiertheit von Realität und Geschichtsbewusstsein durch Reduktion, Verlangsamung und Wiederholung herausstellen, spekuliert Yvon Chabrowski in der fotografischen Wandarbeit „Fotoemulsion auf Barytpapier, vergrößert I-VI“ (2011) umgekehrt auf die Glaubwürdigkeit analoger Herstellungsprozesse im digitalen Zeitalter.

Diese großformatigen C-Prints wecken auf den ersten Blick Assoziationen an eine „deutsche“ Romantik realer Landschaftsaufnahmen. Dieser Eindruck löst sich jedoch nicht in der Abstraktheit der ursprünglich fotochemisch erzeugten Kompositionen auf, sondern scheint sich gerade darin „essentiell“ zu materialisieren.

Die Videoinstallation „Augenzeuge“ (2011) besteht aus einem Monitor, der in Augenhöhe mit dem Betrachter auf einem Sockel steht und an einen Blue Screen erinnerndes, leicht wolkiges, flimmerndes Bild zeigt. Die Künstlerin hat hier den Zeitzeugen aus dem Fernsehstudio von Guido Knopp digital retuschiert und das „entleerte“ Bild mit einschlägigen Tonfragmenten aus der TV-Dokumentation unterlegt. Durch das Wissen um diesen Eingriff wird der Betrachter zum teilnehmenden Analysten einer Inszenierung von Augenzeugenschaft, die unsere (Fernseh-)Realität populistischer Talkshowformate zu bestimmen scheint.

Matthias Zielfeld

Matthias Zielfeld geht in seinen Heften „deutschland [1-n]“ der Frage nach, was Deutschland ist. Die ersten vier Ausgaben beschäftigen sich mit Orten. „Ich erwarte einen Erkenntnisgewinn bezüglich der Gesellschaft, in der ich lebe. Ich hoffe auf diesem Weg mein Weltordnungssystem zerkleinern und umbauen zu können. Es bleibt mir nichts anderes übrig, als mich mit diesem Scheißehaufen zu beschäftigen.“ Vorschnelles Verstehen ist für den Künstler ein Problem, es führt zu Überdruss und Langeweile; Klischee türmt sich auf Klischee, jene emotional überfrachteten, zur Schablone reduzierten Bilder, die einer persönlichen, identitätsstiftenden Verortung helfen. Matthias Zielfeld versucht immer wieder in einen „freieren Modus“ jenseits der Schablonen zu kommen, bei gleichzeitiger Angst „in diesem Haufen aus Material gewordenen, unauflösbaren menschlichen Geschicken unter zu gehen.“ Heft 3 funktioniert etwas anders: „Was meine ich zu sehen und zu begreifen, wenn ich als deutscher Individualtourist im Auto mit Tempo 60 durch ein mir fremdes Land der letzten EU-Erweiterung reise?“ Matthias Zielfeld produziert Hefte. Die Hefte sind für die Leute. So wie Zielfeld haben diese Leute ihre jeweiligen Vorstellungen, wie alles mit allem zusammenhängt, und sie haben ihre Klischees. „Ich will diesen Klischees und deren Indifferenz etwas entgegenstellen. Was für mich darauf hinausläuft, mehr oder weniger nicht weiter reduzierbare Brocken – ausgehärtete, zu neuen Bildern gewordene Teile des Haufens – anzubieten.“ Diese Brocken sind nicht irgendwelche Brocken, sondern solche, die eine Verwandtschaft zu den gängigen Klischees besitzen und ihren Auftritt herausfordern.

Die Bildspur Zielfelds Videoarbeit „Terrasse“ (2011) zeigt die Terrasse eines Einfamilienhaus in der Totalen. Die Sonne scheint, Blumen blühen. Der Blickwinkel der Kamera ist leicht von oben. Die Bildqualität lässt zu wünschen übrig. Obwohl das Bild farbig ist, besteht, auch wegen der Perspektive, ästhetisch eine Nähe zu einer Überwachungskamera. Nach und nach kommen Leute aus der Türe und betreten die Terrasse. Der Tisch wird gedeckt, es wird gegessen, geplaudert. Es bleibt unklar, wie diese Videoaufnahme entstanden ist. Zumindest zu Beginn ist es kaum möglich zu entscheiden, ob es sich um eine Inszenierung handelt oder nicht. Auf der Tonspur befinden sich Predigtfragmente eines Redners, dessen Hintergrund fundamentalistisch christlich zu sein scheint. Dieser religiöse Text versucht Welt, Staat und Familie als Bühnenort einer metaphysisch konstanten Wirklichkeit zu interpretieren und sucht eine Totalität der Wirklichkeit, die ohne Schein ist – die ist, was sie vorgibt, zu sein.

Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Leipzig.